Jörg Flachowsky, Experte für Schüler- und Auszubildendenmarketing, schaut auf ein HR-Jahr im Schatten der Corona-Pandemie und wagt eine Prognose für 2021: „Wer seine Nachwuchsarbeit jetzt nicht konsequent umstellt auf digitale Kommunikation und digitale Prozesse, der handelt grob fahrlässig.“
Wagen wir schon mal einen Rückblick: Wie steht es um die Nachwuchsarbeit deutscher Unternehmen in 2020, einem in vieler Hinsicht besonderen Jahr.
Wahrscheinlich wurden nie zuvor Schüler:innen so intensiv wie in diesem Jahr digital angesprochen und in digitalen Candidate Journeys eingestellt. Das ist erstmal eine gute Nachricht. HR hat nach meiner Beobachtung 2020 einen großen digitalen Sprung gemacht.
Das klingt nach einer positiven Bilanz.
Naja, wir hätten dafür nicht das Erlebnis dieser furchtbaren Pandemie gebraucht. Wir hätten nur auf die Schüler:innen hören müssen. Sie haben uns seit Jahren ins Hausaufgabenheft geschrieben, was sie von Unternehmen erwarten: schnellere Reaktionszeiten, mehr Transparenz im Auswahlprozess, unkompliziertere Kontaktaufnahme auch per Messenger und Video, um nur einige zu nennen.
Wenn wir an den Anfang der Candidate Journey schauen, also auf das Schüler:innen- und Auszubildendenmarketing: Kannst du da Erwartungen nennen?
Schüler:innen erwarten wie nie zuvor, dass Unternehmen auf sie zukommen. Sie wollen individuell auf sie zugeschnittene Berufs- und Studienangebote. Sie wollen, dass Informationen zu Berufs- und Studienangeboten sie im persönlichen Lebensumfeld wie Schule, Verein und Freizeit erreichen. Das haben wir in repräsentativen Studien längst erhoben. Das Wissen ist da. Das Bewusstsein folgt jetzt.
Was heißt das konkret? Was müssen HR-Verantwortliche tun, um diesen Anforderungen gerecht zu werden?
Sie müssen in Distribution investieren. Mit Maßnahmen des Online-Marketings, Social-Marketings und Direct-Marketings. Erstes Ziel muss sein, die existierenden Informationen wirkungsvoll in Bewegung zu bringen. Wirkungsvoll heißt in diesem Fall klar digital. Da ist die Zielgruppe, da müssen wir hin. Ohne Wenn und Aber.
Und auf das Bewusstsein folgt die Umsetzung? Dann ist alles gut aus deiner Sicht?
Um Himmels Willen, nein. Wir sind ganz am Anfang. Auch im internationalen Vergleich. Und längst ist nicht sicher, ob da alle Überzeugungstäter:innen sind oder sich der:die eine oder andere nur kurzfristig den Pandemieregeln beugt und die kleinen Schritte, die wir jetzt gegangen sind, routiniert rückabgewickelt, sobald es geht.
Meinst du, der Prozess der Digitalisierung in der Nachwuchsansprache ist tatsächlich umkehrbar?
Nein. Wer seine Nachwuchsarbeit jetzt nicht konsequent umstellt auf digitale Kommunikation und digitale Prozesse, der handelt grob fahrlässig. Das gilt für einzelne Unternehmen und für ganze Branchen.
Eines der meistgenannten Hemmnisse sind die fehlenden Ressourcen.
Das stimmt nur teilweise. Denn diejenigen, die am weitesten vorn sind bei der HR-Digitalisierung, sind in den wichtigen HR-KPI, in Employer Branding und in der Arbeitnehmerkultur deutlich besser. Und besser heißt auch kosteneffizienter. Digitalisierung ist niemals Selbstzweck, sondern löst Probleme.
Zum Schluss noch ein Ausblick: Was werden die großen Themen 2021?
Ich erlebe große Unterschiede. Ich bin gerade mit Unternehmen im Austausch, die im nächsten Jahr erst beginnen in datenbasierte und digitale HR-Strategien zu investieren. Und rufe ihnen laut zu: Tut es! 74 Prozent der Unternehmen arbeiten aktuell an der Digitalisierung ihrer HR-Prozesse. Andere deutsche DAX-Unternehmen, die wir betreuen, sind schon ganz wo anders. Sie entwickeln spannende Konzepte wie sie Daten nutzen, um beispielsweise den Bewerber:innenprozess schneller zu machen. Ein Unternehmen hat mir berichtet, wie sie Corona-Daten auswerten, interpretieren und so von neuen Bewegungen auf dem Bewerber:innenmarkt profitieren. Mitten in der Krise sprechen sie potentielle Kandidat:innen so passgenau an.
Hast du noch ein Top-Thema, dass dir gerade in deiner Arbeit als Berater für Schüler:innen- und Auszubildendenmarketing begegnet?
Sprachgesteuertes Recruiting ist eines der Themen, die ich zuletzt mit Kolleg:innen diskutiert habe. Chatbots spielen aktuell zwar noch keine nennenswerte Rolle im HR in Deutschland. Es wird aber viel probiert. 2021 wird ein wichtiges Jahr. Weil sich in ihm beweisen muss, dass die deutschen Unternehmen – auch der so wichtige Mittelstand – die digitale Formate in HR-Ansprache und HR-Prozesse ernsthaft implementieren.
Jörg Flachowsky ist Co-Founder und CEO von meetome. Er verantwortet in dieser Funktion alle Kampagnen sowie Konzepte und Beratungsleistungen aus dem Haus meetome. Mit 15 Jahren Arbeit in dem Bereich und mit einem lebendigen Netzwerk aus Bildungs-, HR- und Medienexpert:innen erfüllt er diese Aufgabe mit großer Erfahrung und Herzblut. Das Unternehmen für datenblasiertes und digitales Schüler:innen- und Auszubildendenmarketing wurde als besten HR-Innovationen des Jahres 2015 bei den Human Ressources Excellence Awards ausgezeichnet.